Über das Werk
Für seine Zeichnung der Wasserfälle von Tivoli bediente François Boucher sich derselben Technik von schwarzer und weißer Kreide auf blauem Papier, die auch Hyacinthe Rigaud um die gleiche Zeit für seine Bildniszeichnung verwendete. Die Wirkung ist jedoch völlig verschieden. Während Rigaud mit eleganter Klarheit und feinster materieller Differenzierung seine Gegenstände definiert, lässt Boucher ein Stimmungsbild entstehen, in dem die Strukturen von Fels, Vegetation und stürzendem Wasser suggestiv ineinander verwoben sind. Nur langsam, dann aber umso intensiver, nimmt das Auge die Bewegung des Wassers, die umspülten Felsbrocken, den aufsteigenden Wassernebel und andere Einzelheiten wahr.
François Boucher stammte aus einfachen Verhältnissen und sollte sich zum führenden Hofmaler des Rokoko hocharbeiten, der Ära Ludwigs XV. und dessen kunstsinniger Mätresse Madame de Pompadour. Die Zeichnung der Wasserfälle von Tivoli entstand, gemeinsam mit einem Pendant, das sich heute im Rijksprentenkabinet in Amsterdam befindet, in Bouchers früher Zeit, während einer Italienreise, die der junge Künstler von 1728 bis 1731 unternahm. Dabei verfügte er zwar nicht über den gefragten und umkämpften Stipendiatenstatus, stand aber in enger Verbindung zur französischen Akademie in Rom, deren Direktor zu dieser Zeit Nicolas Vleughels war. Vleughels ermunterte die jungen Maler zu Landschaftsstudien in der freien Natur, und daher mag es rühren, dass Boucher die grandiosen Wasserfälle in den Bergen östlich von Rom, die schon im 17. Jahrhundert ein Hauptziel der Landschaftsmaler waren, in großformatigen Zeichnungen festhielt. Bemerkenswert scheint bei dem Blatt des Städel Museums nicht nur die Disziplin und zeichnerische Reflektiertheit des jungen Mannes, sondern auch eine Auffassung, die die berühmte malerische Ansicht nicht als überwältigend darstellt, sondern als ein kultiviertes Erlebnis der Sinne.