Über das Werk
Im Alter von 70 Jahren begann Giovanni Domenico Tiepolo seinen Zyklus zum Leben des Pulcinella zu zeichnen, den er auf einem Titelblatt dem »Divertimento per li regazzi«, der »Unterhaltung der Kinder« empfahl. Pulcinella, eine populäre, aus Neapel stammende Figur der Commedia dell’Arte, ist wie ihre Artgenossen durch eine bucklige Gestalt und ihr auffälliges Kostüm charakterisiert. Frei von literarischer Vorgabe ersann der Künstler über hundert Episoden, in denen er das turbulente Leben in seiner ganzen Fülle schildert, von der Eheschließung der Eltern, über die Geburt des Protagonisten bis zu seinem Tode.
Erst 1920, anlässlich ihrer Versteigerung in London, trat die Pulcinella-Folge Tiepolos ins Blickfeld der Kunstöffentlichkeit. Gleichzeitig führte die kompositorische und thematische Eigenständigkeit der einzelnen, großformatigen Blätter zur Auflösung des Konvoluts. Berücksichtigt man die Abfolge, die den Zeichnungen durch eine Numerierung zugedacht war, so stand »Pulcinellas Vater führt seine Braut nach Hause« an ursprünglich vierter Position. Wie alle übrigen Szenen ist auch sie mit Feder und Pinsel in nuancierten Brauntönen ausgeführt.
Wie auf einer Bühne wird das Ereignis präsentiert. Den Vordergrund beherrscht eine horizontal aufgereihte Schar in zum Teil irritierenden Rückenansichten. Inmitten des dicht gedrängten Publikums ist das ungleiche Brautpaar auszumachen. Die skurrile Gestalt des Bräutigams verschwindet hinter der Schönheit der Braut, die vor allem durch ihre Kleidung und ihre Haltung beschrieben ist, welche Würde und Anmut ausstrahlen. Der Hintergrund ist betont flach gehalten und lebt, wie die gesamte Zeichnung, von den malerischen Qualitäten der differenziert und virtuos eingesetzten Laviertechnik.
Anders als sein Vater Giovanni Battista, der sich bereits mit der Pulcinella-Figur beschäftigt hatte, setzte Giovanni Domenico das Treiben der burlesken Figur als satirisches Spiegelbild der Gesellschaft ein. Dies ist bereits in seinen Fresken für die »Camera dei Pagliacci« der Familienvilla in Zianigo (1793; Ca’ Rezzonico, Venedig) zu spüren, aber vor allem in seinen ebenda geschaffenen Pulcinella-Zeichnungen. Auf unvergleichliche Weise tragen diese zum eigenen Vergnügen entstandenen, maskierten Erfindungen mehr oder weniger deutlich persiflierende Anspielungen in sich.
Der grundlegende historische Wandel des ausgehenden 18. Jahrhunderts kündigt sich in der indirekten Bildsprache dieser späten Zeichnungen Tiepolos ebenso an wie in den »Caprichos« (1799) Goyas, der zur gleichen Zeit in Spanien seine kritischen Gesellschaftskommentare druckgraphisch verbreiten ließ.