Über das Werk
Über Zeichnung, Radierung und Lithografie fand Beckmann in den Frankfurter Jahren zu seiner einprägsamen Formensprache: Kantige, reduzierte Formen bestimmen nun das Bildgefüge. Der Raum wird gleichsam kubistisch aufgebrochen und perspektivische Verzerrungen und verfremdete Maßverhältnisse erzeugen Instabilität und Dynamik. In etwa fünfzehn Jahren entstand ein reiches druckgrafisches Œuvre von außergewöhnlicher Intensität. Der lithografische Zyklus „Die Hölle“ ist darin ein Schlüsselwerk.
In zehn Kompositionen und einem Titelblatt spiegelt „Die Hölle“ Beckmanns Erfahrung der Welt nach dem Ersten Weltkrieg. Deutschland war von Inflation und wirtschaftlicher Not gebeutelt und bis zur Ausrufung der Weimarer Republik im November 1919 ein Pulverfass. Vielerorts wie in Frankfurt oder Berlin, das Beckmann im März 1919 besuchte, herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Sie gaben den Anstoß für Beckmanns „Hölle“.
Schonungslos, und doch ohne moralische Anklage, beschreibt Beckmann eine zutiefst traumatisierte Gesellschaft. Er zeichnet die Menschen als verroht und verstümmelt, als mord- und vergnügungssüchtig, als desillusioniert, hungrig und ohne Hoffnung. „Die Welt ist eben die Hölle“, hatte schon 1851 der Philosoph Arthur Schopenhauer festgestellt, den Beckmann eifrig gelesen hatte, „und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“ (Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena. Kleine philosophische Schriften, Bd. 2, Leipzig 1874, S. 322) Beckmanns Hölle kennt wie Schopenhauers kein Entrinnen. Sein Zyklus zeigt menschliches Drama, als „Szene[n] im Theater der Unendlichkeit“ (Max Beckmann, Tagebucheintrag vom 12. September 1940, in: Ders., Tagebücher, 1940–1950, München 1979, S. 310).
Motivische Anspielungen auf die Bühne, auf Rummel oder Zirkus dienten Beckmann gerade in den Frankfurter Jahren immer wieder als Metapher der Welt. Auch „Die Hölle“ beginnt mit einem Selbstbildnis, in dem der Künstler wie ein Jahrmarktschreier zu einem „großen Spektakel“ einlädt. Dann erst folgen die einzelnen Kompositionen: klaustrophobisch verschachtelte Räume und bedrängend nahsichtige Szenen, die der Künstler aus abrupt wechselnden Blickpunkten wiedergibt. Elemente der Wirklichkeit und Visionäres, Symbolhaftes sind untrennbar verwoben.
Beckmann brachte die einzelnen Kompositionen in entschieden repräsentativem Format mit Kreide zu Papier. Im Umdruckverfahren wurden sie dann auf Lithosteine übertragen und bei C. Naumann in Frankfurt gedruckt. Die Herausgabe übernahm der Galerist Jsrael Ber Neumann, mit dem Beckmann seit 1912 bekannt war. Gerade einmal 22-jährig hatte Neumann 1911 in Berlin sein „Graphisches Kabinett“ eröffnet, das sich bald zu einer der einflussreichsten Galerien für den deutschen Expressionismus entwickelte. Als Beckmann ihm im Juni 1919 die Kreidezeichnungen zur „Hölle“ zeigte, kaufte Neumann die Folge spontan an. „Noch nie“, so der Galerist, „hatte ich Kunst von solcher Giftigkeit, solcher Bitternis gesehen“ (Jsrael Ber Neumann, „Sorrow and Champagne“, zit. nach: Ursula Harter und Stephan von Wiese (Hrsg.), Max Beckmann und J. B. Neumann. Der Künstler und sein Händler in Briefen und Dokumenten 1917–1950, Köln 2011, S. 285–317, hier S. 289).
Die Letzten: Die bürgerkriegsähnlichen Zustände Deutschlands während der Räterepublik hat Beckmann insbesondere in dieser Komposition verarbeitet. Wie als Gegenstück zur ohnmächtigen Antriebslosigkeit im vorangegangenen „Patriotischen Lied“ zeigt diese Szene dem Betrachter nun blinde, bedingungslose Aggression. Uniformierte und Zivilisten gleichermaßen haben sich in einer Wohnung verschanzt, um verbissen bis zum Letzten, bis zum eigenen Untergang, zu kämpfen.